Legenden: Das Megafon der WAZ (aktualisiert)
Als Auslöser der Krawalle in Rostock, da herrscht weitgehend Einvernehmen, gelten Attacken aus dem schwarzen Block auf einen einzelnen Polizei-Bus. In den meisten Berichten ist diese Attacke in einer Einstellung zu sehen, in der der Demonstrationszug im Vordergrund vorbeizieht. Es gibt noch ein zweites Video aus privater Hand und mit für den schwarzen Block entlarvender Perspektive. Ich habe es bei bild.de gefunden, wo Youtube als Quelle angegeben wird. (Aktualisierung: Habe das Video nun auch bei Youtube gefunden.)
Da sich diese entsetzlichen Szenen vor der eigentlichen Eskalation am Stadthafen abspielten, dürfte zumindest über den auslösenden Funken wenig Zweifel bestehen. Selbst der Kopf der Interventionistischen Linken, Tim Laumeyer, sieht das wohl so. Was allerdings im weiteren Verlauf geschah, darüber haben sich schon zahllose Geschichten entwickelt. Jede Gruppe wird sich in den nächsten Tagen und Wochen daraus ihre ganz private Legende des 02. Juni 07 zurechtlegen.
Eine Frage, die nicht eindeutig beantwortet werden wird, ist die nach der Mitverantwortung der friedlichen Demonstranten. Beim Spiegel war dazu ab Samstag etwa zu lesen, die Krawallmacher seien vom Podium der Abschlusskundgebung mit dem Satz
“Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.”
noch weiter angestachelt worden. Der Spiegelfechter wies schon früh darauf hin, dass dieser Satz wohl nicht so gefallen ist. Und auch der Spiegel hat sich inzwischen korrigiert. Der sogar als Headline genutzte Satz beruht auf einem Übersetzungsfehler, der möglicherweise schon auf der Bühne selbst dem dortigen Übersetzer unterlief und dann von der dpa verbreitet wurde. Für die Legendenbildung taugt der Satz dennoch, zumal selbst die Korrekturen beim Spiegel eher halbherzig sind.
Anmerkung: Die Autoren des G8-Blogs beim ZDF haben noch einmal ganz genau hingehört. Der Satz ist wieder vom Redner Walden Bello noch vom Übersetzer gesagt worden. Deshalb die Streichung im vorherigen Absatz. (via Spiegelfechter)
Und noch eine Anmerkung: Die dpa hat sich dann doch irgendwann noch vollständig korrigiert. Mehr dazu bei Jens.
Eine ganz eigene Version liefert uns heute noch Annika Fischer in der WAZ auf den Frühstückstisch:
“Wir müssen den Krieg in diese Demo tragen!”, ruft ein junger Mann ins Megafon, aber vorn an der Bühne stehen immer noch die (farben-) frohen Linken, beschwören eine “andere Welt” und reden von einer “schönen Veranstaltung”.
Wie es scheint, war Frau Fischer vor Ort. Dann wird das wohl so stimmen.
Hihi.
Nachsatz: Ich finde die Reportage von Frau Fischer ansonsten übrigens ganz gelungen. Nur schade, dass solche Ungenauigkeiten das Vertrauen in die Authentizität unterminieren.
Dank an Jens für den Hinweis auf den Spiegelfechter.
Nachtrag: Das ganze Debakel hat Stefan Niggemeier noch einmal für uns zusammengetragen. Praktisch diese bloggenden Journalisten.
04.06.07 um 11:43
Erstaunlich, wie trotz oder wegen der vielen Bild- und Tondokumente die “Wahrheit” nicht ermittelt werden kann. Denn jeder einzelne kann immer nur einen winzigen Teil der Fakten sichten.
04.06.07 um 11:57
So ist das wohl.
04.06.07 um 12:23
IMO eher weniger erstaunlich. Bild- und Tondokumente (eigentlich so verallgemeinert ein falscher Begriff) dokumentieren keine Wahrheit, keine Realität, sondern zeigen nur ein Bild eines Ausschnittes davon. Nur die eigene Erinnerung ist noch viel trügerischer.
04.06.07 um 17:07
Was mich wundert: Sowohl WELT als auch Ruhr Nachrichten haben das “Krieg”-Zitat nicht in den falschen Zusammenhang gebracht. Gerade bei letzteren wundert es mich, da diese doch gerne häufig Agenturmeldungen nutzt.
Aber vielleicht haben die auch die Korrekturmeldung rechtzeitig gelesen.
04.06.07 um 17:43
Gipfelblog.de berichtet über den G8-Gipfel in Heiligendamm…
Neben Spree8 berichten natürlich auch andere Blogs vom G8-Gipfel in Heiligendamm. Bei Stefan Niggemeier konnte ich gerade lesen, dass es u.a. auch einen Blog namens gipfelblog.de gibt, über den es heißt:
“Am Anfang war die Idee. U…
05.06.07 um 00:54
Versteht Ihr warum der Polizeiwagen nicht einfach wegfährt? Der lässt sich erst die Scheibe einplästern und fährt dann weg. Das wirkt n bissi gestellt..
05.06.07 um 09:23
Jaja. Und Kennedy konnte auch nur erschossen werden, weil der gekaufte Fahrer mal kurz angehalten hat um dem Schützen das Zielen zu erleichtern.
Dennis! Wir stellen die Szene mal für Dich nach. Vielleicht mit einer Horde rechter Fanatiker? Und dann lässt Du Mal den Motor an und fährst ganz schnell weg ohne einen Deiner Angreifer über den Haufen zu kacheln.
05.06.07 um 11:40
Ich schlage vor, solche Großveranstaltungen nach dem Vorbild von BigBrother mit Kameras auszustatten und life zu übertragen. Per SMS können die Zuschauer am Fernseher den Polizisten dann Tipps geben, was sie tun sollen. Das würde die Einsätze enorm vereinfachen.
05.06.07 um 14:04
Djure, ich sage nicht die Szene ist gestellt, sondern sie wirkt gestellt. Ich finde ganz fürchterlich, was da abgeht, nicht dass der Eindruck entsteht,ich bin auf der Seite der Schläger da. Mal davon abgesehen, dass die Quelle des Videos mit Bild und You Tube nicht die Verlässlichste ist, vermag man möglicherweise auch von politischer Seite aus, gern ein bissi “Action” sehen. Sonst lassen sich doch die teuren Zäune so schwer rechtfertigen :-) Aus dieser nicht vollkommen abwegigen Perspektive betrachtet, wirkt meine Anmerkung auch gar nicht mehr so naiv, wie ich finde. Und zu Deiner Anmerkung: Solange hätte ich nicht gewartet. Und mir wäre auch egal, wen ich umkachel, wenn die mit einer Axt auf mich zukommen.
05.06.07 um 14:06
[…] Das ZDF-Blog klärt mit einem Video-Geschehnisse über die angebliche Kriegserklärung von Walden Bello auf der Kundgebung in Rostock auf. (via 50 hz) […]
05.06.07 um 17:07
@Djure:
Hast Du heute übrigens eine Richtigstellung i.S. “Kriegs”-Zitat gelesen? Ich nicht.
05.06.07 um 18:44
Nach 3 (in Worten: drei!!!) Tagen korrigiert dpa die Falschmeldung von der Demonstration in Rostock…
“Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.”
Dieses Zitat soll angeblich in Rostock auf der Bühne bei den Anti-G8-Protesten gefallen sein, bevor es zu den Eskalationen kam…
05.06.07 um 23:10
Es bleiben zwei Fragen:
1. Wie arbeitet ein Berichterstatter, der das beobachtete Geschehen auf diese Weise zusammenfasst? Frühre sprach man bei Autoren vor allem in der DDR von der “Schere im Kopf” die bestimmte Aspekte herausschnitt quasi als vorweggenommene Zensur der Stellen, die jeweils für die Veröffentlichung zuständig waren. Muss man heute weitere Werkzeuge im Kopf des Journalisten vermuten? Und warum? Zunächst scheint tatsächlich nur die Antwort plausibel zu sein, dass der Berichterstatter, die spannend-eskalierenden Geschehnisse vor Augen, hinzudichtete, was der Dramaturgie besser entsprach als die Realität.
Zweite Frage: Würden solche Falschmeldungen ohne MyVideo und Blogs erkannt und berichtigt werden?
06.06.07 um 11:21
@Jens: Eine Richtigstellung der WAZ, zumindest online, das wäre schon was. Allerdings ist der nämliche Satz durch Frau Fischers Ausschmückungen ja ziemlich entschärft. Anders als bei der dpa kam er nicht vom Podium, sondern von irgendwo her. Der implizite Vorwurf, dass friedliche Demonstranten die Chaoten angestachelt hätten, ist damit in der WAZ allenfalls drin.
06.06.07 um 11:39
@Jörg:
Interessante Fragen, die Sie da aufwerfen. Die zweite ist einfach zu beantworten: Nein! Möglicherweise wäre der Fehler aber auch gar nicht unterlaufen, denn ohne den Zeitdruck der Internetmedien, hätte die dpa vielleicht gründlicher gearbeitet. Ich betone: Vielleicht!
Die erste Frage könnte anders formuliert und auf den Text von Annika Fischer zugespitzt lauten: “Was darf die Reportage?”
Ist es etwa zulässig, ein Zitat zu benutzen, das vielleicht gar nicht gesagt wurde, aber das was wahrgenommen wurde, treffend widergibt.
Die Texte des Spiegels über Regierungs- oder Koalitionsrunden sind manchmal so aufgebaut. Der Leser gewinnt den Eindruck, als wäre der Reporter tatsächlich mit im Zimmer gewesen. Aber natürlich ist das Gespräch fiktiv und bestenfalls anhand von Hinweisen von “Kreisen” rekonstruiert.
Ich gebe die Frage mal an den Fachmann “vor” weiter. Und vielleicht gelingt es ja auch Frau Fischer zu einer Aussage zu bewegen.
10.06.07 um 23:18
Finde die Diskussion sehr interessant. Nur kurz zu der “Fachfrage”. Meine Meinung: Natürlich müssen Zitate stimmen, immer! Auch der Spiegel wird sich zumeist hüten, wörtliche Zitate jemandem Konkreten in die Schuhe zu schieben. Allerdings, ein Mitglied der Regierung sagt “…” geht natürlich immer. Allerdings werden Zitate in Reportage meistens (!) nicht autorisiert. Problem der Autorisierung wird ja auch immer wieder diskutiert. Hier nur: es bietet auch Vorteile, der nachträglichen (!) Bearbeitung und Zuspitzung, da der Betreffenende ja auch noch autorisiert. Aber das ist ein anderes Thema…
War übrigens an der Nordsee, bin ohne den Heiligendamm-Trubel ganz erholt.
10.06.07 um 23:34
WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz antwortet Stefan Niggemeier in Sachen Falschmeldung zur G8-Demonstration in Rostock nicht…
Sowohl Djure Meinen als auch Stefan Niggemeier berichteten darüber, dass die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) falsch über die G8-Proteste in Rostock berichteten.
Es war eben nicht so, dass von der Bühne ein offizieller Redner zur Ge…
11.06.07 um 09:17
@vor: Und? Habt ihr verkauft?
12.06.07 um 06:47
Stefan lässt nicht locker, Jens erst recht nicht…
In Sachen “Krieg in die Demostration tragen” gebührt insbesondere Stefan Niggemeier einmal mehr besonderer Dank. Mit großer Sorgfalt zeichnet er nach, wie die Medien eine für die Wahrnehmung der G8-Proteste möglicherweis…