Es gibt keinen Grund?

In Sachen Nokia läuft gerade ein Fass über. Und die Verantwortlichen in der Politik - allen voran der Ministerpräsident Rüttgers - täten gut daran, jetzt kein Öl mehr ins Feuer zu gießen.

Bei allem Verständnis für Wut und Sorgen der unmittelbar Betroffenen. Bei auch ein wenig Verständnis dafür, dass sich auch die Politik empören muss, um von einer verfehlten Subventionspolitik abzulenken. Angesichts solcher Auswüchse gilt es jetzt, wieder auf den Teppich zu kommen.

Denn tut Nokia nicht genau das, was wir von einem Wirtschaftsunternehmen erwarten? Nämlich technologisch ausgereifte Produkte so kostengünstig zu produzieren, dass wir sie uns leisten können. Gerne alle zwei Jahre wieder und immer noch ein bisschen besser.

Nokias Strategie ist in hohem Maße konsequent. Als Nokia nach Deutschland kam, war Deutschland - bzw. die EU - der! Wachstumsmarkt für Mobiltelefone. Die Technologie war neu und die erzielbaren Margen waren hoch. Natürlich musste in dieser Situation eine Handyproduktion irgendwo zwischen Rom und Kopenhagen angesiedelt werden.

Dass die herrlich miteinander streitenden Regionen der damaligen EU sich mit Subventionszahlungen überboten haben, war ein angenehmer Nebeneffekt. Das nicht auszunutzen, wäre aus Sicht eines Wirtschaftsunternehmens sträflich dumm gewesen. Die Entscheidung für eine Produktion im Zentrum der EU hat das sicher nicht beeinflusst.

Und jetzt? Zieht die Karawane eben weiter! In neue Wachstumsmärkte (vgl. auch hier) mit (noch) besseren Produktionsbedingungen und einer ggü. verlorenen Subventionen angenehm enspannten Administration.

Für die unmittelbar Betroffenen ist das dramatisch. Und ich fühle mit ihnen. Für die Region ist es nicht gerade positiv. Aber mal ehrlich. Hat wirklich jemand ernsthaft daran geglaubt, dass in Deutschland noch über längere Zeit Handys zusammen gebaut werden?

Gönnen wir den Rumänen den Erfolg. Die neuen EU-Partner haben wirtschaftliche Entwicklung bitter nötig. Und deren Erfolg ist letztlich auch für uns gut. Er sorgt für Stabilität. Und je schneller Rumänien und Co. aufholen, desto eher entlastet das Deutschland von Transferzahlungen via EU-Haushalt.

Die Überschrift ist ein von mir mit Fragezeichen versehenes Rüttgers-Zitat.

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Schon 25 Kommentare.

  1. Jochen Hoff

    Es tut mir leid mein Herr, du irren mächtig. Die Entwicklung siehst du durchaus richtig. Auch schätzt du das Handeln von Nokia richtig ein. Aber eins bedenkst du dabei nicht.

    Die ständige Wiederholung von Unrecht, macht aus Unrecht kein Recht. Wenn ich deinem richtigen Gedanken folge, zahlen wir jetzt die Subvention für Rumänien. Du und ich. Über das Geld was Brüssel von uns bekommt. Wenn dort die Bindungsfrist ausgelaufen, haben wir vermutlich Grusinien als eigenständiges EU-Mitglied und Nokia zieht mit neuen Subvenitonen dahin weiter.

    Wenn diese Art des wirtschaftens für dich in Ordnung ist, bedeutet dies, das bald in China die Artikel geklebt und dann per Nachtpost nach Deutschland gebracht,oder hier nur noch ausgedruckt werden für die Kunden. Geht natürlich. Aber es war eben nicht der Sinn der Subventionen.

    Es gab und gibt da eine stillschweigende Vereinbarung, das derjenige der Subventionen nimmt langfristig investiert. Er bekommt eine günstige Anschubfinanzierung und soll dann auf Dauer Steuern bringen. Lassen wir die Unternehmen da raus, dann haben wir nur noch Wanderproduktionen mit Wanderarbeitern oder Arbeitslosen.

    Das kann es nicht sein. Wenn Nokia so frei sein darf, gegen Absprachen zu verstoßen, dann müssen wir so frei sein dürfen, Produkte von Nokia nicht mehr ins Land zu lassen. Ab sofort.

    Natürlich ist das Quatsch. Aber wir brauchen Waffengleichheit. Wenn Nokia uns um Subventionen, wie ich meine und bei mir im Block auch deutlich schreibe betrügen kann, dann müssen wir eine andere Waffe einsetzen dürfen. Vertriebsverbot und natürlich auch Einfuhrverbot für Deutschland.

    Stell es dir vor. Ab morgen darf in Deutschland kein Nokia Gerät mehr betrieben werden. Was meinst du wie schnell die zu Kreuze kriechen. Natürlich ist Protektionismus genauso falsch wie Abzockerei. Aber wer abzockt muss bestraft werden. In meinem Umfeld wird keiner mehr ungenervt Nokia einsetzen und ich werde nie wieder Nokia kaufen oder bei anderen bezahlen. Die sind raus. Endgültig.

  2. frank

    Ich hatte bis vor einiger Zeit einen sehr großen Kunden (PRler - welch Zufall). Als wir begannen zu verhandeln, da sagte der Kunde was alle Kunden sagen, wenn sie beginnen zu verhandeln: “Wenn es gut läuft, dann wollen wir natürlich eine langfristige Zusammenarbeit:”
    Es lief nicht gut, es lief mehr als gut. Der erwünschte Erfolg wurde weit übertroffen.
    Einige Monate später blieb der neue Projektauftrag aus. Über einen anderen Kontakt erfuhr ich, das der Kunde zu deutlich niedrigeren Konditionen mit einem anderen Dienstleister abgeschlossen hatte.
    Hier lief es wohl nicht so gut.
    Der Kunde kam wieder und wollte einen Auftrag erteilen. Und ich sagte ihm fast wörtlich, dass er sich ins Knie ficken solle.
    Das war nicht klug, nicht sachlich. Es war aber gut.

  3. 50hz

    @Jochen Hoff: Nokia hat über Jahre ca. 25 Mio. alleine an Gewerbesteuern in Bochum gezahlt. Und 2.000 bis 4.000 Menschen Arbeit und Lohn verschafft. Was scheren mich da 60 oder 80 Mio Subventionen? Ums mit nem Schlager zu sagen: “Es war ne geile Zeit…” (Quelle: derwesten.de/nachrichten/...)
    Und jetzt sind halt die Rumänen dran.

    @frank: Cool. Aufrecht. Aber was hat das mit Nokia zu tun?

  4. David

    Da hast Du verdammt recht. Es geht ums Geschäft, nicht um Subventionen. Wenn niemand Steuergeld für Nokia ausgegeben hätte, wären die Finnen trotzdem gekommen. Vielleicht nicht nach Bochum, dafür nach Herne oder so. Es ging Ihnen ums den Wachstumsmarkt EU und hier besonders um den reichen Marktplatz Deutschland.
    In der Betrachtung sind Subventionen nur legale Schmiergelder des Staates, um sich Vorteile zu verschaffen, die man ohne Bares nie kriegen würde. Degoutant das Ganze, wenn sich nachher die Schmiergeldzahler noch aufregen, wenn die Bestochenen sich verdrücken.
    Neben dieser nüchternen Wirtschaftsbetrachtung gibt es aber noch menschlichen Aspekt. Und da geht es um Hoffnung, Leben, Kinder, Zukunft, Zuversicht.
    Und das wird hier zerstört. Tausendfach. Und dagegen muss man sich wehren. Einer alleine kann das nicht. Aber alle zusammen. Deswegen ist der Kampf gegen Nokia gerechtfertigt. Zum kurzfristigen Nutzen der Betroffenen.
    Vielleicht bringt es ja auch langfristig was, wenn die Lernkurve den Subventionswahn heilt.

  5. 50hz

    “Deswegen ist der Kampf gegen Nokia gerechtfertigt. Zum kurzfristigen Nutzen der Betroffenen.”
    Einverstanden! Aber die nicht unmittelbar Betroffenen mögen doch bitte den Rechtsfrieden im Auge behalten.

  6. frank

    @50hz: Was das mit Nokia zu tun hat?
    Das ist die gleiche Situation im Kleinen.
    Wir haben es mitunter alle mit Arschlöchern zu tun, für die ein Handel, eine Partnerschaft, eine gewachsene Geschäftsbeziehung nichts mehr wert ist.
    Natürlich kann an sich mit solchen Leuten auf Kompromisse einlassen, kann mit ihnen verhandeln, einen ruhigen, sachlichen Ton anschlagen.
    Es kann aber auch Sinn und vor allem Freude machen solchen Abzockern mal kräftig wohin zu treten.

  7. Lukas

    Systemimmanent ist das, was Du schreibst, sicherlich völlig logisch: Das Unternehmen guckt, wo es am meisten hofiert wird und wo es am meisten rausholen kann.

    Auf der anderen Seite ist das natürlich einigermaßen unethisch - aber was hat Wirtschaft schon mit Ethik zu tun?

  8. 50hz

    Immer eine Frage des Standpunkts, Lukas. Wirklich dreckig wäre doch gewesen, Nokia hätte das Werk an einen kleinen Investor verscherbelt, der es nach ein paar Monaten schlicht vor die Wand gefahren hätte. Kein Sozialplan, keine Auffanggesellschaft…
    Alles schon da gewesen.

  9. Ansgar Bolle

    “Unser Ziel ist ganz einfach - wir möchten, dass Nokia weiterhin ein interessantes Arbeitsumfeld bietet - und wir möchten zum Wohl der Gesellschaft, in der wir tätig sind, beitragen. Jeder Nokia Mitarbeiter entscheidet mit über Leistung und Reputation von Nokia in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Mitarbeiterbeziehungen, Corporate Community Involvement und Menschenrechte. Aus diesem Grund ist jeder Mitarbeiter für den Erfolg von Nokia wichtig, denn er hat Anteil an der Verantwortung für das soziale Engagement.”
    Quelle: nokia.de/A4422054

  10. copper

    Ich hab gerade gelesen, dass Herr Seehofer aus Protest gegen die Schließung des Nokia-Werks in Bochum sein geliebtes Nokia-Mobiltelefon abgegeben hat. Was für eine Tat! Jetzt werden in Finnland wohl die Wände wackeln…

  11. Boris

    “Für die unmittelbar Betroffenen ist das dramatisch. Und ich fühle mit ihnen. Für die Region ist es nicht gerade positiv. Aber mal ehrlich. Hat wirklich jemand ernsthaft daran geglaubt, dass in Deutschland noch über längere Zeit Handys zusammen gebaut werden”

    Also mal ehrlich dieser Absatz ist doch der blanke Hohn. Wenn man selbst nicht betroffen ist, dann tippen sich solche Sätze leicht in die Tastatur.
    Innerhalb des Symstems Wirtschaft mag das Verhalten von Nokia vielleicht Sinn machen und die Argumente stimmen. Allerdings existiert dieses System nicht außerhalb des Systems Gesellschaft. Wirtschaft kennt keine innerern Werte und funktioniert nur mit ceteris paribus Klauseln. Die Welt funktioniert ber anders und so produziert unsere Wirtschaft Tag für Tag externe Kosten, die irgendwann auch mal die Nokias dieser Welt zu spüren bekommen. Umweltverschmutzung, soziale Verwahrlosung etc.

    Money makes the world go round but you can´t eat it. In diesem Sinne.

    PS - Versachlichung ist nicht immer richtig, denn am Ende lachen nur die Verursacher.

  12. Horst Schulte

    Es ist diese Art von Einsicht in wirtschaftliche Zwangsläufigkeiten, die mich schon immer wahnsinnig gemacht haben. Ich nehme nicht an, dass du selbst Unternehmer bist. Dann stündest du auf der “anderen Seite”, und ich hätte Verständnis für die Haltung. Ansonsten kann ich nicht verstehen, dass Menschen, die selbst von abhängiger Arbeit leben, sich auf die Argumente der Kapitalisten einlassen. Am Ende geht es um Menschen. Ich weiß nicht, ob du die Bilder von den weinenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Nokia gesehen hast. Du sagt, das sei für die unmittelbar Betroffenen bitter. Ich fürchte, dass “bitter” nicht das richtige Wort ist. Den Arbeitsplatz zu verlieren ist (heute mehr denn je) eine schlichte Katastrophe. Besonders dann, wenn du um die 50 oder älter bist.

    Wir (die Arbeitnehmer) müssen uns angewöhnen, zu diesen Mechanismen klar Stellung zu beziehen. Das tun wir insbesondere in Deutschland bisher nicht. Persönlich nenne ich diese Dinge beim Namen, auch in meinem Blog. Das kann jeder lesen, auch in meiner Firma. So solidarisch, dass ich mir kein X für ein U vormachen lassen will, bin ich jedenfalls allemal.

  13. 50hz

    @Horst Schulte:
    Doch, ich bin Unternehmer. Aber erst seit ein paar Tagen. Das zählt wohl noch nicht. Ich habe mich jedoch auch als Angestellter nie ausgeliefert gefühlt. Ich war immer - weitgehend - Herr des Geschehens.

    Doch zum Thema: Dass viele Nokianer in 6 Monaten arbeitslos sein werden, ist bitter. Keine Frage. Und manche mögen das als Katastrophe empfinden. Ich kann das Verstehen. Doch auch hier rufe ich die nicht unmittelbar Betroffenen zur Mäßigung auf. Katastrophe geht anders. Es wird einen Sozialplan, eine Auffanggesellschaft und Abfindungen geben. Die meisten werden Arbeitslosengeld bekommen. Und viele werden neue Jobs finden.
    Da von Katastrophe zu sprechen, finde ich schlicht unangemessen.

    Und dann noch ein Frage: Was zum Teufel ist ein Kapitalist?

  14. Horst Schulte

    Ich fange hinten an: Ich kenne diese Art der Frage und stell dir vor, ich kenne zum Begriff sogar mehr als die Definition der Wikipedia. Übrigens verhält sich das ganz ähnlich bei Begriffen wie z.B. “Neoliberal”. Da wird man auch gerne gefragt, ob man sich der korrekten Bedeutung des Wortes bewusst sei. Sei’s drum. Ich denke, dass meine Botschaft schon angekommen ist.

    Ich finde es schön (das meine ich ganz ehrlich), dass du dich noch “nie ausgeliefert” gefühlt hast. Das kann ich von mir leider überhaupt nicht sagen. Natürlich steckt diese Erfahrung in mir und ist mit ein Grund für meine harsche Kritik am Verhalten der Firma Nokia.

    In meinem Berufsleben habe ich die Situation leider mehrfach erlebt. Arbeitslos zu werden ist bitter. Jeder wird es anders empfinden. Als junger Mensch wird man sich weniger Sorgen machen (vermute ich) als der erwähnte 50jährige. Aber natürlich kann man darüber nicht ernsthaft streiten. Das ist von Fall zu Fall anders.

    Jedenfalls bin ich nicht der Meinung, dass wir uns mäßigen sollten. Vielmehr sollten diejenigen, die ich als Kapitalisten bezeichne, einmal darüber nachdenken, wo Grenzen überschritten werden. Nokia schreibt schwarze Zahlen (auch an diesem Standort). Zumindest wurde seitens des Unternehmens nichts gegenteiliges behauptet. So also, frage ich, ist die Grenze, die ein Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen dazu veranlassen würde, den Standort aufzugeben. Die 5%igen Lohnkostenanteile, die für der Handyproduktion zuzurechnen sind, werden es vermutlich auch nicht sein. Der westeuropäische Markt ist sicher nicht mehr der größte Wachstumsbereich aber ganz sicher immer noch lohnend. Außerdem sollten die logistischen Aufwendungen für den Transport von Handys in andere Kontinente nicht so gravierend sein, dass man aus solchen Gründen eine Produktionsverlagerung durchführen müsste. Außerdem gibt es in den Regionen, in denen die Märkte zweistellig wachsen, längst Nokia - Dependancen.

    Das ganze reduziert sich also (in meinen Augen jedenfalls) auf die Frage, welche Margen es Nokia denn gestatten hätten, den Produktionsstandort beizubehalten. Und da bin ich dann wieder beim Kapitalismus.

    Ein schönes Wochenende.
    Gruß
    Horst

  15. Herr Wieland

    @ Frank (11:44):
    Solche Arschlöcher sind auch Leute, die sich im Fachhandel beraten lassen und dann in der Ladenkette kaufen. Denen Umwelt und nach deutschem Recht rechtswidirge Arbeitsverträge egal sind, wenn sie dafür für 10 Euro durch Europa jetten können. Denen die Erzeuger von Lebensmittel scheißegal sind, weil sie gerne glauben wollen, dass es den besten Beaujolais in zigtausend Pullen für 2 Euro zu kaufen gibt.
    Manchmal bin ich im kleinen selbst ein Arschloch. Es gibt abermillionen Arschlöcher in Deutschland.

  16. Casi

    schön, dass Du Dich sachlich mit dem Thema auseinandersetzst. Ich war auch erst ziemlich sauer über die Art und Weise, wie diese Geschichte abgewickelt wird. Aber es ist schon wie Du schreibst: Wir wollen alle unsere subventionierten Handys, die immer mehr für immer weniger können müssen und die Aktionäre wollen, dass sich Nokia um den shareholder value kümmert - somit sind beide Seiten bestens bedient - bis auf die 4000 Ruhrpötter natürlich, die auf der Strasse stehen. Natürlich ist es bitter für jeden Einzelnen, auch wenn ich jetzt keine Bilder von weinenden Mitarbeitern vorm Nokia-Werk zeichnen werde. Aber wenn eins sicher ist, dann doch wohl die Tatsache, dass - gerade mit diesem derzeitigen Medien- und Politikerinteresse - alles Menschenmögliche dafür getan wird, diese Leute aufzufangen bzw schnellstmöglich wieder in Arbeit zu bringen.
    Ich glaub, dass wir uns im Ruhrgebiet noch nicht genügend mit dem Strukturwandel hier auseinandergesetzt haben. Wir sind auf einem sehr guten Weg, der Teil der Industrie zu werden, der neue Techniken entwickelt, sie kommertiell nutzbar macht usw - und nicht der Teil, der Bauteil a an Bauteil b schraubt. Darauf sollte man zum Einen stolz sein und zum anderen sollte man sich auch darüber im klaren sein, dass - je simpler die Tätigkeit wird - es eine Menge EU-Länder gibt, mit denen wir in diesem Preisgefüge nicht mithalten können. Da allerdings ist die Politik gefragt, nicht die Wirtschaft.

  17. Stefan

    @ casi (3.09) “Wir sind auf einem sehr guten Weg, der Teil der Industrie zu werden, der neue Techniken entwickelt, sie kommertiell nutzbar macht usw - und nicht der Teil, der Bauteil a an Bauteil b schraubt.” Und genau das war Nokia in Bochum auch: 400 Ingenieure haben bei Nokia gearbeitet und die Handysparte des Unternehmens mitentwickelt. Anders als bei Opel in Bochum, wo es keine Entwicklung gibt, war Bochum auch ein Entwicklungsstandort. Der Wegfall dieses Entwicklungsstandortes ist das eigentlich schlechte Zeichen. Handys sind Konsumgüter und in Deutschland haben wir kaum noch Konsumgüterherstellung. Das ist OK, das können andere besser. Aber dass wir auch bei der Entwicklung in einer Schlüsselindustrie keine Rolle mehr spielen ist bitter und kein Zeichen eines erfolgreichen Strukturwandels.

  18. Horst Schulte

    Stefan weist auf einen Punkt hin, der wirklich besorgniserregend ist. Denn das heißt ja letztenendes auch nichts anderes, dass auch hochqualifizierte Arbeitsplätze nicht “alles retten” können. Vielleicht wäre erforderlich, gleichzeitig einen großen Vorsprung gegenüber etwaiger ausländischer Konkurrenz zu haben, was wohl eher seltener der Fall sein dürfte (schließlich sind beispielsweise die Ingenieure in anderen Ländern genauso gut) und/oder dass unsere Leute “billiger” oder zumindest nicht um das 10fache teurer sind. Das sind wahrhaftig keine beruhigenden Erkenntnisse. Und Millionensubventionen helfen, wie wir sehen, auch nicht weiter.

    Ich schließe aus diesen Tatbeständen, dass wir uns auf die Veränderungen in anderer Weise einstellen müssen. Wir starren wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange. Ich schätze, dass wir uns wohl wehren müssen. Und zwar wesentlich massiver, als wir uns das heute vorstellen können.

    Im Übrigen ziehen aus der Entwicklung die verbleibenden deutschen Unternehmen ihre eigenen Schlüsse. Das belegen die Meldungen, die aktuell durch die Landschaft ziehen.

    tagesschau.de/wirtschaft/...
    ftd.de/politik/deutschlan...

    Ich schließe aus diesem Bild auch, egal was die FTD dazu meint, dass die Arbeitgeber in Deutschland die Situation am Arbeitsmarkt ausnutzen und zwar systematisch. Und: Gelernt ist gelernt. Daran werden die Menschen, die in Beschäftigungsverhältnissen sind, noch ganz schön zu knabbern haben. Vielleicht wissen zwar nicht was auf sie zukommt, aber soviel Phantasie haben die Menschen schon. Und das befördert natürlich die Binnenkonjunktur nicht gerade.

  19. 50hz

    @Stefan: Dass Nokia auf die Entwicklung in Bochum verzichten will, hat mich auch überrascht. Diese wird allerdings nicht nach Rumänien, sondern nach Helsinki umziehen.
    Aber auch das ist nun nicht der Untergang des Abendlandes. Bei Nokia sind die Entscheidungen gefallen. Statt weiter am Ruf der Ruhrstadt zu sägen, würde ich vorschlagen: “Mund abputzen und die wichtigen Projekte nach vorne stellen.”

  20. Stefan

    Falsch: Die Entwicklung zieht nicht um, sie wird abgewickelt. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes - aber doch ein schlechtes Zeichen. Und aktuell kenne ich kein Projekt, das 400 Ingenieure ins Revier holt. Im Augenblick träumen sie doch alle von Kreativwirtschaft. Und Du und ich wissen, was das wirklich bedeutet.

  21. Andreas F.

    @Horst S.: Ich bin Unternehmer, seit gut 20 Jahren. Und trotzdem (oder vielleicht deswegen ?) kann ich die Entscheidung von Nokia (auch wirtschaftlich) nicht verstehen und halte das momentane Verhalten der dafür verantwortlichen Manager für ziemlich erbärmlich.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass spätestens in 2-3 Jahren die für den rumänischen Standort verantwortlichen Nokia Manager für ihre wirtschaftliche Fehlentscheidung rausgeworfen werden. Den Arbeitnehmern in Bochum nützt das natürlich jetzt nichts.

  22. 50hz

    Hmm Andreas. Worauf stützt Du diese Prognose? Nokia gehört zu den erfolgreichsten Unternehmen der Welt. Warum sollten die sich ausgerechnet mit dem Weggang aus Bochum so verkalkulieren?

    Die Produktion in Wachstumsmärkte mit noch geringen Löhnen zu verlagern, kann nicht falsch sein. Zumal in Rumänien offenbar die Chance besteht ein “vollständiges” Nokia-Village aufzubauen, in das sogar chinesische Zulieferer umziehen mögen.

    Auch die Entwicklung aufzugeben - bzw. an anderen Orten zu konzentrieren - ist nur konsequent. So gut sind die Flugverbindungen von Helsinki nach Bochum nun auch nicht.

  23. Andreas F.

    @50Hz: Es gibt leider keine Regel, dass bisher erfolgreiche Unternehmen nicht auch Fehler machen können. Tatsächlich passiert es viel öfter, dass langjähriger Erfolg irgendwann zu krassen Fehlentscheidungen führt.

    Die Entscheidung nur auf Lohnkosten zu fussen ist kurzsichtig und betrachtet nicht alle tatsächlichen Folgekosten. Das haben nicht wenige “first mover” gelernt, die ihre Produktion in östliche Billiglohnländer verlagert haben, auch wenn das niemand gerne an die grosse Glocke hängt. Von der Verlagerung die Nokia jetzt will, habe sich andere schon längst wieder verabschiedet.

    Klar klingt ein “Nokia-Village” nett auf dem Prospekt. Es sind ja vor Ort keine Zulieferer da und der Flughafen dort soll auch erst später kommen. Deswegen sollen sich dort “in der Pampa” viele Zulieferer (auf eigene Kosten) ansiedeln. Doch erstmal wird es längere Transportwege und -fristen geben. Vor Ort sind keine qualifizierten Mitarbeiter, die müssen erst geschult werden oder woanders abgeworben werden. Vor Ort herscht jetzt schon Arbeitskräftemangel - wo sollen die zusätzlichen billigen Arbeiter für das Nokia Werk herkommen? Mehrkosten für die Anwerbung sind nicht zu verachten, und es hebt das Lohnniveau deutlich an. Und: Durch Nokia gut ausgebildete Mitarbeiter wandern dann in Gegenden mit noch höherem Gehaltsniveau und ins Ausland ab und bleiben nicht bei Nokia. Und: Auch die Zulieferer brauchen lokale neue Mitarbeiter. Durch hohe Fluktuation sind die Schulungskosten u.a. sehr hoch. Kein anderes Land in Europa hat eine so hohe Abwanderungsquote von jungen qualifizierten Arbeitskräften wie Rumänien. Ich möchte niemanden beleidigen oder irgendwelche Vorurteile rauskramen, aber die Erfahrung zeigt, dass durch andere Mentalität und niedrigeren Lebensstandard die Kriminalität und Diebstahlrate (gerade bei kleinen, hochpreisigen Waren) nicht zu verachten ist. Das bedingt wieder Zusatzaufwendungen in Sicherheit und Bewachung bzw. Materialschwund.
    Produktivitätsunterschiede: In Rumänien ist die Produktivität nicht so hoch wie in Deutschland, deshalb soll (so habe ich gehört) Nokia für 2000 deutsche Arbeitskräfte intern fast 4000 rumänische Arbeitskräfte einplanen. Dazu der höhere Aufwand weil Maschinen und Geräte durch schlechte Wartung stärker kaputt gehen. Nicht zu vergessen die Bürokratie und Korruption, die gerne mal (wenn Nokia einmal da ist) die Hand aufhalten und sehr kreativ im Erfinden von individuellen neuen Gebühren und Abgaben sind. Wer das einmal erlebt hat, wird nie wieder über die vermeintlich “schlimme” Bürokratie in Deutschland schimpfen. Etc etc etc ….

    Das sind keine Vorurteile sondern konkrete Erfahrungen, die Unternehmen gemacht haben, die das bereits hinter sich haben, was Nokia jetzt vorhat.

    Und da Nokia auch nur mit Wasser kochen kann, vermute ich mal, dass sie in die gleiche Falle laufen werden, wie jene anderen Unternehmen, die bereits wegen der vermeintlich geringeren Lohnkosten nach Rumänien oder in ähnlich Länder gegangen sind.

    Erfolgsverwöhnte Manager machen leider irgendwann einmal die gröbsten/schlimmsten Fehler.

    Vielleicht wissen wir in 2-3 Jahren ja mehr, wie sehr sich Nokia verkalkuliert hat.

  24. 50hz

    @Andreas: Wie wäre mit einer Wette? Oder ist das zu zynisch.

  25. Andreas F.

    Zynisch wäre es über den Erhalt des Bochumer Werkes zu wetten. Deshalb würde ich so etwas nicht machen.

    Aber darauf zu wetten, dass Konzernmanager Fehler machen, nenne ich nicht zynisch, sondern eine bombensichere Wette .-)

    Also abgemacht, die Wette gilt. Wenn Du in 2 und 3 Jahren die ungeschönten internen Zahlen zum Nokia-Werk in Rumänien besorgst.

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