Politiker aller Parteien fordern, dass die Sonne nie mehr untergeht…

… war am letzten Samstag sinngemäß auf dem Titel der WAZ zu lesen. Tatsächlich titelte die WAZ:

“NRW lehnt Online-Noten für Lehrer ab - Politiker aller Parteien fordern ein Ende des Portals ’spickmich.de’

Da der Artikel scheinbar nicht (mehr) online ist, kurz zum Hintergrund: Das Schülerportal Spickmich ist einer der zahlreichen Versuche, eine Internetcommunity für Schüler zu etablieren. Wie es scheint, sind die Kölner dabei nicht vollkommen erfolglos. Nicht zuletzt deshalb, weil sie mit der Möglichkeit, die eigene Schule und vor allem die Lehrer anonym zu benoten, den Nerv der Zielgruppe getroffen haben.

Gegen eben diese Benotung hat sich eine Lehrerin gerichtlich zur Wehr gesetzt. Und zunächst einmal verloren. Für die liebe Frau Schulministerin, “Politiker” und diverse Lehrerverbände Anlass genug, sich dem Portal nun einmal grundsätzlich zu widmen.

Barbara Sommer “fordert ein Ende der Lehrerbenotung im Internet”, die FDP-Schulexpertin Ingrid Pieper-von Heiden hält die Online-Zeugnisvergabe für “moralisch nicht zulässig”, die ehemalige SPD-Ministerin Ute Schäfer lehnt Spickmich ebenfalls ab. Bei den Grünen gibt man sich differenziert, wenn man in Spickmich einen Reflex auf die Wiedereinführung von Kopfnoten sieht. Aber “Beleidigungen, Schmähungen und Herabwürdigungen” hätten bei dort nichts zu suchen.

(Anmerkung: Die Grüne Expertin Sigrid Beer gibt sich zwar differenziert, aber wenig informiert. Beleidigungen, Schmähungen und Herabwürdigungen gibt es im Zusammenhang mit der Benotung bei Spickmich gar nicht. Im übrigen finden auch die Betreiber des Portals, dass solche Entgleisungen in ihrem Einflussbereich nichts zu suchen haben.)

Von Seiten der Lehrerverbände kommt ebenfalls Kritik. Dem Philologenverband etwa passen die Kriterien nicht. (Stimmt, liebe Philologen. Reichlich undifferenziert diese Noten. Erinnert mich irgendwie an meine Schulzeugnisse.) Die GEW hat die klagende Lehrerin immerhin unterstützt.

Verklagen und Verbieten also?! Um die Medienkompetenz der Bildungspolitiker in NRW scheint es mir schlecht bestellt.

Möglicherweise könnte es ja sogar gelingen, das Portal Spickmich gerichtlich zu schließen. Ich halte das jedoch für eher unwahrscheinlich. Und was wäre das für ein Sieg? Frau Sommer und Konsorten! Glauben Sie wirklich, dass “Problem” sei damit aus der Welt zu schaffen?

Na dann viel Spaß. Ich würde mich lieber um die Abschaffung des Sonnenuntergangs kümmern. Das bekommen Sie leichter hin.

Es war Schülern schon immer ein Bedürfnis, sich - auch öffentlich - über Lehrer aufzuregen. Wir haben das früher in der Schülerzeitung gemacht. Und wenn es ganz schlimm kam, auch schon mal in der lokalen Presse. Heute gibt es dieses unergründliche Internetz, von dem gerade junge Menschen - gottlob - Gebrauch machen. Das wird nicht wieder verschwinden, damit muss man sich zumindest arrangieren. Gerade als Lehrer. Erst recht als Bildungspolitiker.

Spickmich ist im übrigen ein Segen für die Lehrerschaft. Hier wird Kritik in Form von Noten kanalisiert. Entgleisungen sind leicht auffindbar, kontrollierbar und wieder aus der Welt zu schaffen. Wer dieses Ventil schließt, bringt den Topf nur an anderer Stelle zum Überkochen. Die Schlange Internet hat viele Köpfe. Da hilft es wenig, die harmlosen abzuschlagen.

Disclaimer: Ich bin Lehrerkind, Lehrerbruder und neuerdings auch Lehrergatte.

Nachtrag:
Der Westen berichtet über den Ausgang des Berufungsverfahrens am OLG Köln. Wie zu erwarten, kann Spickmich weiter machen.

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Andreas führt, doch keiner folgt, Die paar Jahre halten wir auch noch durch, Tagwerk eines Lehrer-Gatten, 70.000

Schon 5 Kommentare.

  1. Gerhard Zirkel

    Tja, bislang konnte sich so mancher Lehrer hinter der mit viel Mühe aufrecht gehaltenen Unfehlbarkeit des Lehramtes verstecken.

    Das Internet bringt dieses Versteck jetzt zum Einsturz und allen die etwas zu befürchten haben stehen jetzt die Haare zu Berge.

    Schuld sind bestimmt die Killerspiele…!

    Gerhard Zirkel

  2. 50hz

    “Verstecken” ist ein gutes Stichwort. In der Tat ist die Vereinzelung, der vollkommene Rückzug ins Klassenzimmer im Lehrerberuf eines der wesentlichen Probleme unseres Bildungssystems.
    Ich laste das aber weniger den Lehrern, sondern eher dem System an.
    Wer von seinem Arbeitgeber schon in der Ausbildung genötigt wird, fast die gesamte Vorbereitung und Arbeit vollkommen auf sich allein gestellt zu erledigen, wird kaum Team- und Kritikfähigkeit entwickeln können.
    Zwar hört man neuerdings auch aus der Politik öfter mal die Forderung nach mehr Zusammenarbeit in den sogenannten Kollegien.
    Aber den Schritt zu echtem kooperativen Unterricht, bei dem es der Regelfall und nicht die Ausnahme ist, dass zwei Lehrer gemeinsam vor der Klasse stehen, mag keiner gehen.
    Könnte ja Geld kosten.

  3. Gerhard Zirkel

    “Könnte ja Geld kosten” ist genau die Ursache für unser suboptimales Bildungssystem.

    Das fängt bei der Ausbildung und Unterstütung der Lehrer an und hört bei Planung, Bau und Instandhaltung der Schulen auf.

    Dann wundert man sich, dass man im internationalen Vergleich so schlecht dasteht.

    Gerhard Zirkel

  4. 50hz

    Tja, wann werden “die” endlich verstehen, dass unsere Zukunft nicht auf der Autobahn, sondern in den Köpfen unserer Kinder zu finden ist.

  5. Manfred Josupeit

    Der Artikel ist noch online, hier der Link.
    derwesten.de/nachrichten/...
    Ich bin froh das es zu mindest in diesem Forum noch normale, analytisch denkende Mitbürger gibt die sich auch inhaltlich mit unserem Schulsystem auseinandersetzen.

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